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Klage auf künftige Räumung?
„Manche mögen‘s heißer“
Häufig unbekannt: In der Gewerbemiete kann schon dann auf Räumung geklagt werden, wenn das Mietverhältnis noch gar nicht beendet ist. Dies geht, wenn das Vertragsende und damit der Räumungstermin feststehen (§ 257 ZPO).
Beispiel
Der Gewerbemieter erhält eine Kündigung, die nach Ablauf der Kündigungsfrist das Ende des Mietverhältnisses bestimmt. In diesem Falle kann der Vermieter bereits auf künftige Räumung klagen. Damit der Mieter nicht ohne weiteres mit solchen Klagen überzogen wird, beinhaltet das Gesetz ein Korrektiv; gibt der Mieter zu der Klage keinen Anlass durch ein entsprechendes Vorverhalten, so kann er den gerichtlich geltend gemachten Räumungs- und Herausgabeanspruch des Vermieters sofort anerkennen und beantragen, dass dem Vermieter die Kosten des Verfahrens auferlegt werden (§ 93 ZPO).
Der BGH hatte die Frage zu klären, ob und unter welchen Umständen der Mieter Anlass zu einer solchen Klage auf künftige Räumung gibt und dann die Gebühren und Kosten dafür tragen muss (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO), oder ob er den „Joker“ eines sofortigen Anerkenntnisses gegen Kostenantrag ziehen kann (§ 93 ZPO).
Folgender Fall war zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28.6.2023 - XII ZB 537/22, NJW 2023, 2781):
Vermieter V kündigt den mit Mieter A bestehenden Mietvertrag zum Betrieb einer Arztpraxis ordentlich und fristgerecht zum 30.9.2022. A reagiert darauf nicht. Weil V eine Anschlussvermietung plant, fordert er A mit anwaltlichen Schreiben vom 28.4.2022 zur Bestätigung der Kündigung auf und setzt dafür eine Frist bis zum 12.5.2022. Wieder reagiert A nicht, worauf hin ein zweites Anwaltsschreiben vom 27. 5. 2022 zur Bestätigung einer fristgerechten Räumung bis spätestens zum 10.6.2022 auffordert. A rührt sich wiederum nicht, V klagt im Juli 2022 auf zukünftige Räumung. LG und OLG gaben Vermieter V die Kosten auf. Der BGH hatte innerhalb einer zulässig eingelegten Rechtsbeschwerde gegen die vorinstanzlichen erlassenen Kostenbeschlüsse zu entscheiden, ob in der unterlassenen Bestätigung der Kündigung ein klagebegründendes Vorverhalten durch A liegt.
Einig mit der Vorinstanz (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.12.2022 - I-24 W 39/22, WuM 2023, 50 ff) ist sich der BGH darin, dass ein Gewerbemieter nur dann Anlass zur Klageerhebung gibt wenn er aktiv ein Verhalten an den Tag legt, dass aus Sicht eines objektiven, vernünftigen Betrachters an seiner Erfüllungsbereitschaft (hier pünktliche Räumung der angemieteten Praxisräume) zweifeln lässt. Diese Ableitung ist Einzelfallfrage; eine allgemeine Beurteilung verbietet sich (BGH, Beschluss vom 28.6.2023 - XII ZB 537/22, Rn. 11 nach juris; st. Rspr. BGH, Beschluss vom 20.9.2022 - XI ZB 4/22, WM 2022, 2147 Rn. 27 mit weiteren Nachweisen; ebenso: Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl. 2022, § 546 BGB Rn. 128; Staudinger/Rolfs, BGB (Bearbeitung 2021), § 546 BGB Rn. 56 zu § 259 ZPO; BeckOGK/Zehelein - Stand 1. April 2023 - , § 546 BGB Rn. 202)
Der beklagte Mieter A habe zwar die außergerichtlich geforderten Bestätigungen nicht abgegeben, aber vor Fälligkeit des Räumungsanspruchs am 30.9.2022 innerhalb seiner Verteidigungsanzeige gegen die anhängig gemachte Klage auf künftige Räumung im August 2022 den Klageanspruch sofort anerkannt und Kostenantrag nach § 93 ZPO gestellt. Die unterbliebene Reaktion auf die außergerichtlich geforderten Bestätigungen ändere daran nichts. Denn vor Fälligkeit des Räumungsanspruchs sei der Räumungsschuldner nicht verpflichtet, zur Vermeidung eigener Kostennachteile seine Leistungsbereitschaft zu erklären (Rn. 13 ff mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und zur Literatur). Dies gelte auch im Gewerberaummietrecht.
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BGH verwirft Gegenauffassung
Der BGH verwirft damit die in Rechtsprechung und Literatur auch vertretene Gegenauffassung, die in diesen Fällen einer erklärten Kündigung des Mietverhältnisses und eines damit vordefinierten Vertragsendes auf Aufforderung des Vermieters eine Erklärung der pünktlichen Räumungsbereitschaft fordert (So: OLG Nürnberg, MietRB 2004, 203; OLG Stuttgart, WuM 1999, 414; Henssler, NJW 1989, 138, 142; Guhling/Günter/Geldmacher, Gewerberaummiete, 2. Aufl., 16. Teil, Kapitel 3, Rn. 27; Lützenkirchen, in: Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl., § 546 BGB Rn. 24 a und b mit weiteren Nachweisen zu § 259 ZPO) und bei unterlassener Erklärung ein klagebegründendes Vorverhalten sieht. Diese Auffassung stützt sich darauf, es liege im berechtigten Interesse des Vermieters, frühzeitig zu erfahren, ob die Mieträume sofort nach Ende der Mietzeit für eine Weitervermietung oder für Bau- oder Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung stünden.
Insgesamt betont der BGH die Funktion des § 93 ZPO als Korrektiv der in § 257 ZPO ermöglichten Klage auf zukünftige Räumung außerhalb der Wohnraummiete: Die gesetzlich eingeräumte frühzeitige Möglichkeit zur gerichtlichen Durchsetzung des erst künftig fällig werdenden Räumungsanspruchs bestehe, aber zu dem Kostenrisiko eines sofort erklärten Anerkenntnisses der Gegenseite; grundsätzlich könne der beklagte Mieter dann den Antrag stellen, dem Vermieter die Kosten aufzuerlegen. Solle dieses Kostenrisiko eliminiert werden, so seien weitere konkrete Anhaltspunkte dafür notwendig, dass dem Räumungsanspruch nicht fristgerecht Genüge getan werde (Ebenso: BGH, Beschluss vom 20.9.2022 - IX ZB 4/22, WM 2022, 2147 Rn. 27). Ein bloßes Schweigen des Mieters reiche für diese Annahme nicht.
Nachzutragen ist:
Die im Ergebnis und Begründung überzeugende Entscheidung ist auch unabhängig vom Verfahrensrecht (materiell-rechtlich) veranlasst. Wenn die Kündigung eines Mietvertrags vom Vermieter gegenüber einem nicht persönlich anwesenden Mieter als Vertragspartner schriftlich erklärt wird, wird sie als Willenserklärung unter Abwesenden mit dem Zugang beim Vertragspartner wirksam (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB), ohne dass sie bestätigt werden muss. Denn es handelt sich um ein einseitiges Gestaltungsrecht.
Verfahrensrecht
Dann nochmals kurz zum Verfahrensrecht: Wie gesagt gibt es die Klage auf künftige Räumung bei Grundstücken oder Räumen, die nicht Wohnzwecken dienen (§ 257 ZPO), ist aber unter den Voraussetzungen von § 259 ZPO auch in der Wohnraummiete denkbar (Dazu: BGH, Beschluss vom 25.10.2022 - VIII ZB 58/21, juris). Im Unterschied zur Rechtslage bei der Gewerberaummiete muss dann nur zusätzlich „die gerechtfertigte Besorgnis“ des Gläubigers hinzukommen, „dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung (- hier der Räumung der Mietsache, Anm. d. Verf. - ) entziehen werde“ (so der Wortlaut von § 259 ZPO).
Ebenso kann in beiden Gestaltungen zunächst eine fristlose Kündigung mit der eingelegten Räumungsklage sofort verbunden werden (Vgl. zur Schriftsatzkündigung im Zeitalter der gebotenen elektronischen Kommunikation zwischen Anwalt und Gericht: Fleindl, Kündigungen im beA-Zeitalter: Besonderheiten der Mietvertragskündigung in elektronischer Form, NZM 2024, 65 ff; Hartmann, Schriftsatzkündigung ade? Zur Unwirksamkeit der mietrechtlichen Kündigung im gerichtlichen elektronischen Rechtsverkehr, IMR 2023, 389 ff; Dötsch, Dass beA und materiell-rechtliche Schrifttumserfordernisse - Augen auf im Räumungsprozess!, MietRB 2018, 31; Ehrmann/Streyl, Praxis des elektronischen Rechtsverkehrs und Formwahrung bei der Mietvertragskündigung - im Fokus: Der beA-Weg, NZM 2019, 873, 876; Hinz, Die Kündigung des Mietverhältnisses im elektronischen Rechtsverkehr, MDR 2022, 1383, 1386 Rn. 20; Siegmund, MietRB 2023, 322; LG Itzehoe, MietRB 2023, 124 LG Bonn, Urteil vom 29.6.2023 - 6 S 97/22, IMR 2024, 189; LG Berlin, Beschluss vom 16.11.2022 - 64 S 160/22, IMR 2023, 399; AG Hamburg, Urteil vom 25.2.2022 - 48 C 304/21, IMR 2022, 230; zur notwendigen qualifizierten elektronischen Signatur als Äquivalent einer Schriftform: OLG Hamm, Beschluss vom 29.6.2023 - 4 UP 154/22, IMR 2023, 425 - einfache Signatur nicht ausreichend). Denn in dem Moment des Zugangs einer fristlosen Kündigung ist das Vertragsverhältnis rechtlich beendet, der Räumungsanspruch bereits fällig. Ebenso kann dies je nach Länge der Kündigungsfrist und erwarteter Verfahrensdauer auch bei hilfsweise und gemeinsam mit fristlosen Kündigungen fristgemäß erklärten Kündigungen funktionieren. Denn das Vertragsverhältnis muss nicht im Zeitpunkt der Klageeinreichung, sondern im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als Grundlage der Urteilsfindung rechtlich beendet sein.
Wohnungsmiete
Im Unterschied zum Gewerberaummietrecht kann sich der Mieter aber in der Wohnungsmiete nicht durch eine notarielle Zwangsvollstreckungsunterwerfungsklausel zur Räumung verpflichten (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Eine solche Klausel, als vollstreckbare Ausfertigung erteilt, würde ein Klageverfahren sparen und sofort zur Zwangsvollstreckung befähigen. Anders als in der Gewerbemiete ist also dort der Gang zum Gericht immer notwendig, wenn die Räumung und Herausgabe der Mietsache streitig ist.
Nur die zeitlich an einen Räumungstitel anknüpfenden gerichtlich gewährten Räumungsfristen (§§ 721, 794 a, 765 ZPO) können auf Antrag abgekürzt werden, wenn der Mieter als Räumungsschuldner während der laufenden Frist ein erhebliches Fehlverhalten zum Beispiel in Form von Gewaltausbrüchen zeigt (AG Berlin-Kreuzberg, Beschluss vom 14.11.2022 - 18 C 56/22, juris mit Anmerkung von Flatow, jurisPR-MietR 7/2023 Anm. 4). Auch andere zeitlich vorgreifende Rechtsschutzmöglichkeiten sind im Wohnungsmietrecht möglich, so zum Beispiel die Inklusion zukünftig fällig werdender Mieten in den Antrag einer Zahlungsklage (§ 258 ZPO) und auch die Klage auf zukünftige Leistung noch nicht fälliger Mieten bei Besorgnis der nicht rechtzeitigen Entrichtung bei Fälligkeit (§ 259 ZPO).
§ 259 ZPO greift bei wiederkehrenden Leistungen ein, deren Fälligkeit nur vom Zeitablauf abhängt (zu der Frage, ob ein Anspruch auf künftige Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB im Wege des § 258 ZPO geltend gemacht werden kann (Vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2002 – VIII ZB 66/02; NZM 2003, 231 = NJW 2003, 1395 = ZMR 2003, 333). Erfasst sind die Fälle, in denen der Mieter die Pflicht zur Zahlung der Miete oder Nutzungsentschädigung ernsthaft bestreitet, aber auch Gestaltungen, in denen aus sonstigen Gründen zu erwarten ist, der Mieter werde nicht zahlen (BGH, Beschl. v. 20.11.2002 - VIII ZB 66/02, a.a.O; BGH, Urteil vom 04.05.2011 – VIII ZR 146/10; ZMR 2011, 709 = NJW 2011, 2886 = NZM 2011, 882). Für diese Erwartung genügt schon ein über einen längeren Zeitraum bestehender, die Bruttomiete mehrfach übersteigender Rückstand des Mieters (BGH, Urt. v. 04.05.2011 – VIII ZR 146/10, a.a.O.); Dabei kann der Rückstand auf Zahlungsunfähigkeit beruhen; er muss es aber nicht (So BGH, Beschl. v. 20.11.2002 - VIII ZB 66/02, a.a.O.). Schließlich genügt eine Einzelforderung.
Klageerweiterung
Entsprechendes gilt auch für Klagerweiterungen. Die Erweiterung auf während des Rechtsstreits fällig gewordene Ansprüche auf Miete oder Nutzungsentschädigung genügt dagegen nicht. Dann ist auf eine normale Leistungsklage überzuleiten. Denn der Übergang von Klagen nach den §§ 257 ff. ZPO auf eine normale Leistungsklage wegen der im Verlauf des Prozesses fällig gewordenen Ansprüche hindert nicht.
Schließlich kann auch in der Wohnungsmiete eine notarielle Zwangsvollstreckungsunterwerfungsklausel, gerichtet auf Mietzahlung, vereinbart werden, als sofortige Vollstreckungsgrundlage dienen und Zahlungsklagen damit überflüssig machen (BGH, Urteil vom 14. Juni 2017 - VIII ZR 76/16, juris).
Rechtsanwalt Dr. Hans Reinold Horst, Hannover / Solingen